Samstag, 14. Februar 2009

Ein Text von Moritz Raiser über die IVF (In-Vitro-Fertilisation)

Moritz Raiser : IVF (In-Vitro-Fertilisation) im Licht der Ethik und Moral

"Was ist das überhaupt, 'In-Vitro-Fertilisation' und in wie fern geht es uns etwas an?", wird mancher fragen.
Wenn ich den Begriff "künstliche Befruchtung" gebrauche, so sieht die Sache schon anders aus:
Zumindest hört man diesen Begriff ab und zu, mancher macht sich seine eigenen Vorstellungen, wie auch ich das einst tat, unterlegt mit mehr oder weniger stichfesten Fakten und einer mehr oder weniger treffenden Gesellschaftsanalyse. Doch wie oft ist das Bild mancher Menschen von dieser Thematik mehr oder weniger unscharf, magelhaft, entstellt oder gar völlig verkehrt? Da auch mein eigenes Bild, das ich vor Jahren veröffentlichte, an eben genannten Mängeln teilhatte, möchte ich diese ethische Frage heute neu und besser beleuchten, mich von allem Falschen und Schlechten (auch in eigenen Aussagen aus der Vergangenheit) distanzieren bzw. es hiermit zurücknehmen, und das problematische Bild zu korrigieren versuchen.

Historisch

In unserer Zeit technischer Entwicklung kam es zum ersten Mal im Juli 1978 zur Geburt eines aus künstlicher Befruchtung hervorgegangenen Menschen. Louise Brown, das erste "Retortenbaby".
Tatsächlich können wir beobachten, wie sich die Wissenschaft im vergangenen Jahrhundert immer mehr auf das Feld der menschlichen Fortpflanzung ausdehnte - ethisch bestimmt nicht immer unproblematisch.

Was hat sich nun aber anscheinend durch die IVF geändert?
Die IVF wurde nun als Möglichkeit dargestellt, jenen Paaren, denen die Zeugung eines Kindes auf natürlichem Wege nicht möglich war, nun auf "medizinisch-technischem Weg" den Kinderwunsch zu erfüllen. Die In-Vitro-Fertilisation ist ja nichts anderes, als eine „technische Prozedur die darauf abzielt, eine menschliche Befruchtung herbeizuführen ohne eine sexuelle Vereinigung von Mann und Frau"(Haas).

Damit im Zusammenhang muss sicherlich auch die gesellschaftliche Entwicklung gesehen werden, die das Problem des auf natürlichem Wege nicht mehr erfüllbaren Kinderwunsches vergrößert hat:
10-15% aller europäischen Paare gelten heute als unfruchtbar. Auch wenn es viele Ursachen geben mag, so sticht doch eine Hauptursache deutlich heraus: 1970 waren 90% aller Partner zur Zeit der Geburt des ersten Kindes jünger als 30, heute sind 25% aller Partner über 30 (s.Quellen)! Also wohl eine besonderer gesellschaftlicher Wandel (Bsp.: "Karrierefrau" oder finanzielle Situation, die beide Ehepartner arbeiten lässt).

Gleichzeitig konnten nun aber die in vitro (in der Petri-Schale) gezeugten Menschen im Embryonalzustand auch Beobachtungen und Experimenten unterzogen werden, rückten also gewissermaßen in den Rahmen der "technischen Verfügbarkeit".

Diese damals neue Situation ist uns heute zu einem technischen Faktum geworden (aber verbunden mit ethischer Problematik).

Technisch-praktisch

Kurz gefasst und allgemein (ohne Unterscheidung rechtlicher Besonderheiten in einzelnen Ländern) gestaltet sich der Eingriff bei der IVF wie folgt:
Nach vorausgehender Untersuchung des Zyklus wird durch gezielte Behandlung mit Hormonen die Bildung mehrerer Eizellen in der Gebährmutter stimuliert (im Gegensatz zum natürlichen Heranreifen meist einer Eizelle).
In einer nach der Heranreifung stattfindenden Operation werden die Eizellen aus dem Uterus entnommen. Durch Masturbation (zur ethischen Bewertung derselben: KKK 2352: s. http://www.vatican.va/archive/DEU0035/_P8B.HTM )gewonnene Spermien des Mannes werden dann in der Petri-Schale mit den Eizellen zusammengeführt. Es entstehen mehrere menschliche Embryonen. Nach einer gewissen Zeit im "Brutschrank" wird nach Präimplantationsdiagnose unter den Embryonen genetisch selektiert, die "ungeeigneten" eliminiert. Zwei oder drei Embryonen werden beim Embryonentransfer (ET) in die Mutter verpflanzt, wobei sich zeigt, ob sich wenigstens ein Kind in der Gebährmutter einnistet. Die übrigen Embryonen werden eingefroren. Nistet sich mehr als ein Embryo ein, führt man zumeist eine "fötale Reduktion" durch, im Klartext: man treibt die anderen Kinder ab.
Abgesehen von den "Kosten" von Menschenleben(!!!) sei noch auf die hohen finanziellen Kosten pro Versuch, so wie potentielle körperliche Nebenwirkungen für die Frau hingewiesen: Häufig gibt es Hitzewellen, Schlafstörungen, Übelkeit...
Desweiteren soll nicht verschwiegen werden,
"dass die Erkrankung am so genannten ovariellen Hyperstimulationssyndrom (OHSS), die meist durch zu hohe Hormongaben ausgelöst wird, für die betroffene Frau auch tödlich ausgehen kann. Und [...] längst [sind] eine ganze Reihe solcher Fälle bekannt"(einer der Tagespost Artikel siehe unten).
Ganz zu schweigen von psychischem Druck, der bei "misslungenen Versuchen" wohl nicht ausbleibt.
Die sogenannte Baby-Take-Home-Rate, die angibt, wie viele Kinder tatsächlich geboren werden, liegt bei ungefähr 10-15%.
Weiterhin muss gesagt werden, dass "Grob geschätzt [...] pro IVF-Kind, das das Paar später in Händen hält, ungefähr 30 Embryos ihr Leben lassen mussten"(Haas).

Ethisch-moralisch

Ganz unabhängig von der faktischen Ausbreitung der IVF, stellt sich uns eine moralische Frage, die oben ja bereits angedeutet wird. Ein moralisches Urteil kann ja nicht allein aus dem faktischen Vorkommen der Handlung gefolgert werden (Bsp.: In manchen Gegenden ist Diebstahl häufig, aber generell ja trotzdem ein moralisches Übel), genausowenig allein eine (finanzielle) "Nützlichkeitsabwägung" sein (Schwerbehinderte Menschen verursachen vielleicht auch finanzielle Kosten, sie haben aber eine Menschenwürde und ein Recht auf Leben, das nicht angetastet werden darf! Man denke an die schreckliche "NAZI-Euthanasie"...). Wo es um Moral geht, reicht ein "jeder muss sehen wie es sich für ihn lohnt" nicht aus. Nur weil ein Banküberfall sich z.B. finanziell "für mich lohnt", ist er nicht moralisch.
Deswegen sind grunsätzlichere Überlegungen angebracht, die dann auch Folgen für die ethische Beurteilung der konkreten Frage haben.
Wo es sich um Menschen dreht, müssen wir uns zunächst fragen, was der Mensch denn ist. Sicherlich ein Thema, mit dem man Bücher füllen kann. Grundsätzlich wichtig ist hier aber:
Der Mensch ist nicht einfach ein Tier ohne Vernunft, ein Stein ohne Willen. Er ist Körper und Seele, kann seine Vernunft einsetzen um "zu abstrahieren, das Transzendente zu denken und allgemein Gültiges zu erkennen. Er kann als einziges Wesen zwischen guten und schlechten Taten unterscheiden und sich entscheiden, er kann über seine Taten nachdenken"(Haas). Jeder Mensch hat ebenso, weil er Mensch ist, eine unverlierbare Würde, die ihm zukommt. Sei er eine Frau oder ein Mann, Afrikaner, Inder oder Europäer, 2 oder 110 Jahre alt.

Wenn Wissenschaft also wahrhaft das Gute fördern soll, muss sie sich in den Dienst des Guten stellen. Das setzt auch vorraus, dass sie selbst den Menschen in seiner Würde ernst nimmt. Täte sie das nicht, würde sie eben nicht zum Glück des Menschen beitragen, sondern zu seinem Schaden, seiner Vernichtung.
So ist auch nicht alles in der Technik Mögliche zugleich moralisch gut.

Genauso ist es mit der Methode der IVF, denn wenn hier Menschen, auch wenn sie vielleicht gerade eben gezeugt sind, bewusst getötet werden, wird damit gegen die oben genannte Menschenwürde verstoßen.
Bei der IVF wird der Mensch behandelt wie ein Produktionsgut, etwas das nicht der Procreation (Fortpflanzung), sondern einem technischen Produktionsablauf entspringt. Hiermit wird er zutiefst unter seine Würde erniedrigt. Was nicht dem festgesetzten "Qualitätsstandard" entspricht, wird zerstört. Eine Anmaßung, wenn Menschen darüber befinden, ob andere Menschen ihren "Qualitätsstandards" entsprechen und sie gegebenenfalls einfach töten. Wie viel Leid gab es auf der Welt, weil Menschen anderen Menschen ihr Lebensrecht absprachen?
Ganz im Gegensatz dazu steht der geschlechtliche Akt zweier Ehepartner. Hier kann aus der gegenseitigen Liebe und Hingabe eine Frucht entstehen, ein neues menschliches Kind, neues Leben. Nur hier hat ein Kind die Bedingungen, die der Menschenwürde eines jeden Menschen, und also auch seiner Würde entsprechen.
Im Falle der IVF wird das Kind seines Rechtes beraubt, aus einer ehelichen Liebe gezeugt zu werden. Eine Drittperson, ein Labormitarbeiter statt diesem Akt der Liebe. Damit verletzt die IVF die Würde von Kind und Paar.
Selbstverständlich ist ein Kinderwunsch äußerst legitim, hängt das nicht mit der ehelichen Liebesbeziehung zusammen? Aber die Eltern haben kein "Recht auf ein Kind" - es ist ein Geschenk.
Der legitime Wunsch rechtfertigt nicht, für ein Kind seine 30 Geschwisterchen zu vernichten und es im Labor zu produzieren.
Es ist nicht egal, wo ich entstanden bin. Auch Kinder einer Vergewaltigung kamen unter Bedingungen zustande, die ihm in seiner Würde nicht gerecht werden. Das ändert natürlich nichts an der Würde, am Lebensrecht des dabei gezeugten Kindes selbst, das ja dann trotzdem leben will. Jedoch wurde seine Würde, sein Recht verletzt.

So nimmt auch die Kirche zurecht Stellung zur In-Vitro-Fertilisation.
Sie betont die Würde der menschlichen Person "von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod", dass das Kind das Recht hat, "die Frucht des spezifischen Aktes der ehelichen Hingabe seiner Eltern zu sein" (man beache: ehelich!) und das Recht, „vom ersten Augenblick seiner Empfängnis an als Person geachtet zu werden" (DnV 2,8)"(KKK 2378). An der "Procreation" im ehelichen Akt wirken so die Ehegatten durch ihre Liebe mit dem Schöpfer mit.
Die Methode der IVF ist moralisch verwerflich und verletzt die Menschenwürde, indem sie das Kind quasi zum "Produkt der Technik" degradiert und nicht die würdige Fortpflanzung zweier Eheleute darstellt.
Wir sollten uns nicht nur nicht in unserer "Biologie" von der Technik beherrschen lassen, es geht hier vielmehr darum, unseren würdigen Platz in der Schöpfungsordnung ausfüllen.

Zur "Familienplanung" lässt sich zum Abschluss kurz gefasst vielleicht noch etwas anführen:
Wir sollten uns nicht mit den unsittlichen Methoden der Empfängnisverhütung gegen den Grundsatz wenden "„daß jeder eheliche Akt von sich aus auf die Erzeugung menschlichen Lebens ausgerichtet bleiben muß" (HV 11). „Diese vom kirchlichen Lehramt oft dargelegte Lehre gründet in einer von Gott bestimmten unlösbaren Verknüpfung der beiden Bedeutungen - liebende Vereinigung und Fortpflanzung -‚ die beide dem ehelichen Akt innewohnen" (HV 12) [Vgl. Pius Xl., Enz. „Casti connubii"]"(KKK2366).
Natürlich sind es die Gatten, "welche die erste Verantwortung für die Zeugung und Erziehung ihrer Kinder tragen [Vgl. HV 23; PP 37]"(KKK2372).
Aber wohl galt es auch schon für frühere Generationen:
"2370 Die zeitweilige Enthaltsamkeit sowie die auf Selbstbeobachtung und der Wahl von unfruchtbaren Perioden der Frau beruhenden Methoden der Empfängnisregelung [Vgl. HV 16] entsprechen den objektiven Kriterien der Moral. Diese Methoden achten den Leib der Eheleute, ermutigen diese zur Zärtlichkeit und begünstigen die Erziehung zu echter Freiheit. Hingegen „ist jede Handlung verwerflich, die entweder in Voraussicht oder während des Vollzuges des ehelichen Aktes oder im Anschluß an ihn beim Ablauf seiner natürlichen Auswirkungen darauf abstellt, die Fortpflanzung zu verhindern, sei es als Ziel, sei es als Mittel zum Ziel" (HV 14).



„Während die geschlechtliche Vereinigung ihrer ganzen Natur nach ein vorbehaltloses gegenseitiges Sich-Schenken der Gatten zum Ausdruck bringt, wird sie durch die Empfängnisverhütung zu einer objektiv widersprüchlichen Gebärde, zu einem Sich-nicht-ganz-Schenken. So kommt zur aktiven Zurückweisung der Offenheit für das Leben auch eine Verfälschung der inneren Wahrheit ehelicher Liebe, die ja zur Hingabe in personaler Ganzheit berufen ist." Dieser anthropologische und moralische Unterschied zwischen der Empfängnisverhütung und der Zuflucht zu den natürlichen Fruchtbarkeitszyklen ist „mit zwei sich ausschließenden Vorstellungen von Person und menschlicher Sexualität verknüpft"(FC 32).



2371 „Mögen alle daran denken: Das menschliche Leben und die Aufgabe, es weiterzuvermitteln, haben nicht nur eine Bedeutung für diese Zeit und können deshalb auch nicht von daher allein bemessen und verstanden werden, sondern haben immer eine Beziehung zu der ewigen Bestimmung des Menschen" (GS 51,4)."(KKK)

Es geht auch heute darum: Würde, Verantwortung, Bestimmung des Menschen zum wahren Glück.
Ich sage gerne "ja!" zu all dem, was die Kirche sagt.

Moritz Raiser

Quellen:

http://www.kath-info.de/invitro.html 14.Februar 2009, 11:18
dort v.a. der Beitrag von Monika Haas, urspr. auf der Webseite von "Jugend für das Leben"; ein Großteil meines Textes stützt sich hierauf.
http://www.die-tagespost.com/Archiv/titel_anzeige.asp?ID=33013 14.Februar 2009, 11:33
http://www.die-tagespost.de/Archiv/titel_anzeige.asp?ID=12472
14.Februar 2009, 14:47
Katechismus der Katholischen Kirche, v.a.: http://www.vatican.va/archive/DEU0035/_P8C.HTM 14.Februar 2009, 16:36

Lehramtliche Aussagen zum Themenfeld finden sich u.a. in folgenden zwei Dokumenten:

Aktuellen Datums und äußerst empfehlenswert ist das Schreiben "Dignitas Personae".

Sehr empfehlenswert ist auch das Schreiben "Donum Vitae“

- im scharfen Gegensatz zur gleichnamigen Organisation „Donum Vitae e.V.“
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Der Text, von dem ich mich hiermit distanziere und der hiermit korrigiert werden soll, findet sich auf:
http://www.scienceacademy.de/SABW2003/4ethik.pdf zum Thema/Abschnitt "IVF"
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Sollten sich durch eventuelle Fehler Aussagen im Text finden, die dem Lehramt der Katholischen Kirche widersprechen, sind diese entgegen der Intention des Autors. Wenn der Leser meint, inhaltliche oder formale Fehler zu erkennen, ist er gebeten, diese über die Kommentarfunktion mitzuteilen.
Der Autor hat hiermit natürlich nur einen Teil des Themenkomplexes beleuchten können. Es empfiehlt sich die Lektüre der kirchlichen, lehramtlichen Aussagen zur weiteren Information.
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